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Kaum zu glauben, aber nach Habana reise ich von meiner etwa 1000 Kilometer östlich gelegenen Heimatstadt Santiago de Cuba aus am „einfachsten“ mit dem eigenen Wagen. Denn ich habe das nicht alltägliche Glück und den unerschütterlichen Mut, mich einem solchen anvertrauen zu können.

Die Alternative wäre einzig Autostopp mit Hilfe der „Gelben“. Gelb sind bei uns nämlich nicht nur die Bananen, die wir offiziell „lieber“ exportieren als selber essen. Bei den „Gelben“ handelt es sich um Männer und Frauen in ebensolchen Anzügen, die sie als Gehilfen und Gehilfinnen zum Reisen ausweisen. Man findet sie an jeder Zu- und Ausfahrt der Städte im ganzen Land. Gegen Vorkasse vermitteln sie einen Platz auf einem Lastwagen, Traktor oder anderen offenen Vehikel, dessen Fahrziel mit dem eigenen möglichst übereinstimmt.

Reisen nach Havanna -Für einen Platz in einem regulären öffentlichen Verkehrsmittel muss man sich auf Ausharren in unabsehbaren Schlangen vorsehen. Man steht unter Umständen während Tagen in einer Kolonne, trifft neue Gesichter, beteiligt sich an Gesprächen und gibt die positiven Gerüchte, welche von hinten nach vorn oder von vorne nach hinten schwappen, an sein Umfeld weiter. An einen fixen Abreise- oder Ankunftstermin ist dabei nicht zu denken und wenn es das Schicksal so will, verbreitet sich irgendwann vom Kopf der Schlange her die lakonische Mitteilung, dass heute, morgen und je nachdem auch übermorgen nicht mit einem Fahrzeug zu rechnen sei.

Deshalb gilt auf Kuba: Wenn immer möglich, nimm deinen eigenen Wagen! Und vergiss, dass du je nach topografischer Befindlichkeit 13 bis 16 abenteuerliche Stunden für die 1000 km bis Havanna tuckern musst. Dein Wissen, dass du auf dieser Fahrt entschieden mehr Kurven fahren wirst, als die Autobahn nach ihrer Eröffnung aufwies, lässt dich auf deine persönliche Landkarte zurückgreifen. Du studierst darin aufmerksam die früheren Eintragungen über Baustellen und Löcher im Belag. Besonders wertvoll sind die Hinweise über gestrandete Wracks, die längs oder auf quer der Straße stehen und vor sich hin rosten. Bei all dem nicht vergessen, dass Pannendreiecke oder Markierungen von Verkehrshindernissen weder tags- noch nachtsüber üblich sind. Vergiss deshalb auf gar keinen Fall, deine Karte während der Fahrt auf den neuesten Stand zu bringen, denn diese Vorsichtsmaßnahme zählt zu den wichtigsten Überlebensübungen auf unserer schönen Insel.

Schuld und Service

Aus den Kommentaren meiner Landsleute höre ich immer wieder im Tenor einer mit Verwünschungen gewürzten Beteuerung, dass wir alle diese Missstände dem Boykott der „Gringos“ und einer Verschwörung der uns vernachlässigenden EU-Staaten verdanken. Die sind auch schuld daran, dass wir keine (neuen) Autos kaufen können, geschweige denn Ersatzteile für die alten. Dank dieser einfachen und überaus wirksamen Argumentation sind diejenigen, die für die Missstände tatsächlich verantwortlich sind, erst mal  „fein raus“ und wir selber können uns als Helden der Landstraße feiern! Einzig die Straßenjungen gewinnen der Sache erfreuliches ab, denn in der Regenzeit können sie in den Löchern baden, mit etwas Glück reicht es sogar zum Schwimmen!

Zum weiteren Reisegenuss nach Havanna trägt die übliche, erschöpfende Tropenhitze bei, und als ob dies nicht genügen würde,  fordert der rollende Untersatz auch noch verschiedene Flüssigkeiten zum Funktionieren. So halte ich an einer der im ganzen Land verstreuten Servicecenter an. SERVICUPET oder ORO NEGRO heißen sie und sind – natürlich – staatlich. Gegen Dollars wird hier dem Wagen geholfen. Beim üblichen Stromausfall, der jeweils mit einem Trinkgeld oberhalb der Schmerzgrenze überbrückt wird, darf der Kunde dem „Pistero“ behilflich sein, unter Zuhilfenahme eines dünnen Schläuchleins den Treibstoff ins Vehikel zu saugen und zu pumpen.

Falls ich in der mir eigenen Unverschämtheit nach einem Beleg frage, gehen erstaunt Augenbrauen hoch, da ich offenbar nicht begriffen habe, dass der Zähler ohne Strom nicht funktionieren kann. Rechnungspapier oder Firmenstempel für eine Rechnung sind sowieso unbekannt. Dank der an diesen Servicestellen trotz allem möglichen Dienstbereitschaft ist es mir aber schon gelungen, dem „Pistero“ eine Rechnung abzuringen, gewissermaßen „hand made“. Nämlich auf der Rückseite meines mit Fettflecken übersäten Sandwichpapiers.

Beschaffungsengpässe

Auf der ganzen Strecke treffe ich immer wieder auf verzweifelte Autostopper. Sie stehen am Straßenrand, in flehentlich gestreckten Hände halten sie Dollars oder Pesos. Nimmt man sie mit, muss man sich ihre ironischen und/oder melancholischen Bemerkungen über die allgemeinen Transportprobleme abhören, deren Urheber weiter oben bereits identifiziert wurden.

Positiv formuliert, hat uns dieser anhaltende Zustand der Beschaffungsengpässe eine weltweit einmalige Fülle von außerordentlichen – mehrheitlich amerikanischen – Oldtimern aus den 30-er bis 60-er Jahren beschert. Außerordentlich vor allem deshalb, weil sie mit großem Geschick der erfinderischen Besitzer fahrtüchtig erhalten, verziert, schöner als Christbäume beleuchtet und regelmäßig von Hand mit dem nötigen farblichen Finish versehen werden. Solche folkloristischen Erscheinungen ziehen unweigerlich die Aufmerksamkeit der Touristen auf sich, wo immer sie mit Ohren betäubendem Hupen und frei von jeglicher Katalysatortechnik rauchend herumknattern.

Habe ich die Fahrt wieder einmal überlebt, passiere ich ungefähr um 7 Uhr abends bei einsetzender Dämmerung den imposanten Tunnel, der die Bucht von Havanna teilt und staune immer wieder neu über die Schönheit dieser karibischen Hauptstadt. Eine lohnende Entschädigung für all die Reisestrapazen, von denen Sie eben eine Kolumne zum Mitleiden und -fühlen gelesen haben!

 

Text & Fotos: Marco Antonio Martinez Cabrerizo

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